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Blogeinträge von Admin Sabine

"Haben Sie den nicht unter Kontrolle?!"

"Bei uns zieht ein neues Familienmitglied ein!" Wenn Menschen sich für einen Hund entscheiden, haben sie dabei oft das stark von Medien geprägte,  romantische Bild eines Hundes als "treuen Gefährten", "besten Freund" und "Kuschelpartner" vor Augen. All das mag auch zutreffen - jedoch darf man nicht vergessen, dass man sich mit einem Hund auch ein von einem Raubtier abstammendes Tier ins Haus holt. Ein Tier mit eigener Persönlichkeit, mit Stärken, mit Schwächen und vor allem: mit tierischen Instinkten. 

Ja, wir können mit Erziehungs- und auch mit Beziehungsarbeit vieles abfedern. Wir können trainieren, Frust ertragen zu lernen, Instinkten nicht mehr direkt nachzugeben und sie umzulenken. Impulse zu kontrollieren. Kontrolle ist das Stichwort: denn am liebsten würden wir jedes Verhalten, das unser Hund zeigt oder zeigen könnte, “unter Kontrolle” bringen. Wir bestimmen, wann und wie welches Verhalten angemessen und ok ist und was nicht. Das Problem dabei ist aber: Wir werden dieses Tier, den Hund, niemals komplett und immer kontrollieren können. Instinkte lassen sich nicht "wegtrainieren” und wir werden niemals zu 100 Prozent die Hand dafür ins Feuer legen können, wie sich ein Hund in einer für ihn herausfordernden Situation verhalten wird. Welcher Instinkt dann vielleicht mit ihm “durchgeht”. Wenn nicht mal wir Menschen, die dem Hund in logischem und strategischem Denken weitaus überlegen sind, uns immer und zu jederzeit im Griff haben - wieso erwarten wir das von unseren Hunden?  

Einerseits erkennen wir es an, feiern es sogar, dass unser Hund seine eigene Persönlichkeit hat und ein eigenständiges Lebewesen ist - aber andererseits bestehen wir so sehr darauf, dass dieses Lebewesen bitteschön immer und jederzeit nach unseren Regeln lebt. Kontrolle verlieren fühlt sich nämlich ganz schön scheiße an.

Menschliche Welt - menschliche Regeln

Selbstverständlich ist es unumgänglich, dass Hunde nach unseren menschlichen Regeln leben und dementsprechend erzogen werden. Sie müssen lernen, gesellschaftsfähig zu sein, in unserer menschlichen Welt klarzukommen und akzeptieren, dass einige Verhaltensweisen unerwünscht sind und schlichtweg nicht gehen. Für die einen, deren Abstammung bereits seit Generationen mit Menschen zusammenlebt, mag das etwas einfacher zu verstehen sein, als für die anderen, deren Erfahrungen im Zusammenleben mit Menschen noch nicht so sehr verankert sind. Mit der steigenden Anzahl an Haushunden, also Hunden, die einfach nur als Sozialpartner und nicht mehr als Arbeitstier angeschafft werden, dürfen einige Eigenschaften gar nicht mehr zum Vorschein kommen - obwohl die Rasse einst genau darauf selektiert wurde. Dass dies mühevolle Arbeit und viel Training bedeuten kann, wird noch immer häufig unterschätzt.  

Es scheint so, als wollten die Menschen immer mehr den “perfekten Hund”, der nach ihren Regeln spielt, sich immer angemessen verhält, die menschlich gesetzten Grenzen immer einhält. Kann ein Lebewesen so etwas überhaupt leisten - mental, im Zusammenspiel mit Hormonen, mit körperlichen Problemen? Und selbst wenn in diesen Bereichen alles ok ist - muss es einen Grund dafür geben, mal nicht zu funktionieren?

Die Rolle von Scham

Scham spielt im Kontext Hund eine riesige Rolle. Wir schämen uns, wenn unser Hund andere Hunde anbellt, in die Leine springt, an der Leine zieht, an anderen Menschen hochspringt, die das blöd finden. Es ist uns mehr als unangenehm, wenn unser Hund andere Hunde oder Menschen anknurrt oder beißen würde, und wir ihn deshalb sichern müssen: “Oh, ist der gefährlich? Haben Sie den denn nicht unter Kontrolle?” Wir müssen viele Kommentare zu unseren Hunden ertragen, und alle scheinen irgendwie auf unsere Unfähigkeit als Hundehalter:in hinzweisen: “In dem Alter hört der noch nicht?”, "Der ist aber noch wild!", "Das müssen Sie ihm aber noch beibringen!" Wir schämen uns, einen Hund zu haben, der nicht in allen Bereichen funktioniert.

Menschen urteilen schnell. Sie verurteilen, beurteilen, werten ab. Meistens im Vergleich mit sich selbst und dem eigenen Hund: “Also meiner würde nie so richtig beißen, der zwickt höchstens mal”, “Meiner hört super - die paar Mal wo er nen Hasen gefangen hat, sind ja nicht schlimm”. Meistens sind das nicht die Menschen, die sich mit einem besonders gut erzogenen Exemplar wirklich als “überlegen” sehen könnten. Warum aber machen sich ausgerechnet die Hundebesitzer:innen untereinander so ein schlechtes Gefühl, obwohl sie doch alle irgendwo ihre Baustellen haben? 

Akzeptanz bedeutet Verantwortung übernehmen

Wir streben nach ständiger Kontrolle - aber seien wir mal realistisch: Immer unter Kontrolle ist niemand, weder Mensch noch Hund. Das zu akzeptieren ist der erste Schritt. Hört sich leichter an, als es ist. Denn um das zu akzeptieren, müssen wir uns von der Meinung, der Bewertung anderer frei machen. Wenn dich jemand fragt, ob du deinen Hund nicht unter Kontrolle hast und er deshalb an der Leine ist, darf die Antwort lauten “Stimmt. Ich habe ihn und seinen Jagdinstinkt nicht immer unter Kontrolle - und auch 80% sind zu gefährlich, als dass ich das mit mir vereinbaren könnte.” Wenn du gefragt wirst, ob dein Hund einen Maulkorb trägt, weil er beißt, dann darfst du antworten “Ja genau. Mein Hund beißt - nicht immer, aber manchmal und das ist Grund genug, ihn zu sichern.” Diese Antworten sind legitim und du darfst sie geben, ohne dich zu schämen. Das hat nichts mit Versagen deinerseits oder deines Hundes zu tun. Es hat mit Verantwortung übernehmen zu tun. Denn Menschen, die sich selbst einreden, immer die Kontrolle zu haben, verschließen die Augen vor dem, was ein Hund eben ist: Ein Tier mit Instinkten. Und Instinkte sind bei starken Emotionen wie Angst, Wut oder Glück sehr, sehr schwierig unter Kontrolle zu bringen - und manchmal eben auch gar nicht. 


Foto: Candy Nogales

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